Auslandskorrespondenten & Journalismus

Auslandskorrespondenten & Journalismus

Organisatoren
Caroline Breitfelder / Jörn Happel, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
16.03.2023 - 17.03.2023
Von
Oliver Göhler, Departement Geschichte, Universität Basel

Über Auslandskorrespondent:innen, deren Rollenfunktionen, Arbeitsweisen und Selbstinszenierungen wurde in der geschichtswissenschaftlichen Forschung trotz ihrer eminenten Bedeutung im 20. Jahrhundert noch immer zu wenig geschrieben und veröffentlicht. Der Workshop an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg setzte sich zum Ziel, diesen Schreibmaschinen-Enthusiast:innen, Abenteuer:innen und Expert:innen die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihnen gebührt. Die Vorträge und Diskussionen sollten das Verständnis für die journalistischen Praktiken und Rolleninszenierungen dieser Berufsgruppe schärfen.

NORMAN DOMEIER (Prag) sprach einleitend über die Rollenfunktion, Arbeitsweisen und Netzwerke von Auslandskorrespondent:innen mit besonderem Fokus auf die amerikanischen Korrespondent:innen in Berlin während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Im Zeitraum der 1920er- bis 1950er- Jahre vergrösserte sich der Einfluss und Wirkungsbereich dieser Akteur:innen signifikant.

Domeier versteht Auslandskorrespondent:innen als Abenteurer:innen der Moderne. Die ‚Stars‘ der Branche seien mit ihrem Prestige und ihrer Prominenz vergleichbar mit damaligen Größen in der Politik, Wirtschaft, Militär und Sport. Die globalen Nachrichtenströme seien ohne einzelne journalistische Persönlichkeiten nicht denkbar gewesen. Die materiellen Umstände und Arbeitsweisen von Auslandskorrespondent:innen gestalteten sich sehr unterschiedlich, insbesondere mit Blick auf die Diktaturen und autoritären Regimes des 20. Jahrhunderts. Im Kontext amerikanischer Korrespondent:innen in der Weimarer Republik oder in der NS-Zeit spielten nach Domeier die materiellen Umstände eine bedeutende Rolle. Insbesondere die großen ‚Stars‘ der Branche genossen Diplomatenstatus mit weitreichenden Ressourcen. Bis zum Untergang 1945 habe sich das nationalsozialistische Regime bemüht, mittels Umwerbung, Überzeugung, Täuschung und Lüge die internationalen Korrespondent:innen zu kontrollieren. Die Korrespondent:innen waren nach Domeier trotz ihrer teilweise schwierigen Integration im Gastland bei wichtigen (insbesondere militärischen) Medienereignissen bestens informiert. Amerikanische Medien seien oft schon im Vorfeld informiert gewesen und konnten Entwicklungen enthüllen, bevor es deutsche Medien wie etwa „Das Reich und der Völkische Beobachter“ vermochten.

KIRSTEN BÖNKER (Köln) referierte über eine Verflechtungsgeschichte des Kalten Krieges, über die Rolle der Auslandskorrespondent:innen darin und wie diese Akteur:innen vor und hinter dem Eisernen Vorhang miteinander in Kontakt standen. Auslandskorrespondent:innen hätten während der Zeit des Kalten Krieges in diplomatischer Funktion, als Brückenbauer:innen oder je nach politischem Hintergrund und Heimatland als Informationssoldat:innen gearbeitet. Auslandskorrespondent:innen ließen sich als Beobachter:innen fassen und inszenierten sich selbst im Rahmen dieses Rollenverständnisses. Je nach Herkunftsland kamen die Korrespondent:innen mit unterschiedlichen Vorstellungen, Erwartungshorizonten und Voraussetzungen im Gepäck in ihrem Berichterstattungsland an. Amerikanische Journalist:innen seien beispielsweise oftmals ohne jegliche Russischkenntnisse in Moskau akkreditiert worden – einem der wichtigsten Berichterstattungsstandorte der damaligen Zeit.

Im zweiten Teil ihres Vortrags thematisierte Bönker die Berichterstattung aus der Sowjetunion, die während des Kalten Krieges zwischen grosser Politik und Alltagsbeobachtung oszillierte. Sie erwähnte in diesem Kontext den französischen Auslandskorrespondenten Michel Tatu, der als erster ständiger Korrespondent der Le Monde in Moskau (1957-1964) seinerseits fließend Russisch sprach, und in seiner Berichterstattung einen besonderen Fokus auf den „russischen Alltag“ legte. Bönker führte Hedrick Smith als weiteres Beispiel eines Korrespondenten-Typus an, der den Anspruch verfolgte, sich mit guten Russischkenntnissen sinnbildlich mitten in die russischen Küchen zu setzen, um den sowjetischen Alltag mitzuerleben. Tatu und Smith übten einen großen Einfluss auf die französische und amerikanische Öffentlichkeit und deren Wahrnehmung der Sowjetunion aus.

Das fortgeschrittene Dissertationsprojekt von SOPHIA POLEK (Basel) lässt sich als eine Kulturgeschichte des journalistischen Berichtens für die russischsprachige, hauptstädtische Massenpresse des Russländischen Imperiums zwischen 1890 und 1912 fassen. Das Projekt befasst sich mit Funktionsweisen von Narrativen und wie journalistisches Berichten in wirtschaftliche, kulturelle aber auch zensurtechnische Kontexte eingebettet war. Als Ergebnis ihrer Forschungsleistung bricht Polek mit dem bestehenden Forschungsdiktum, wonach die Zensur als strikt und umfassend gedeutet wird – im Gegenteil räumt sie Journalist:innen im Umgang mit der Zensur wesentlich mehr Freiheiten ein, als dies von der Forschung bisweilen suggeriert wurde. Eine bedeutende Komponente ihrer Auseinandersetzung ist zudem die Analyse der journalistischen Primärtexte, die in der bisherigen Forschung stark vernachlässigt wurden.

Neben weiteren lohnarbeitenden Journalist:innen steht der Journalist Vlas Mikhailovich Doroshevich im Fokus, zu seiner Zeit als einer der erfolgreichsten Journalisten gehandelt und in einer der grössten Presseagenturen der Russkove slovo tätig. Sophia Poleks methodischer Ansatz ist der Cultural History of Reporting zugewandt. Polek verhandelt das Konzept der Journalistic Role Conception/Self Performance und geht der Frage nach, wie sich die Journalist:innen und Redaktionen in ihren Texten selbst inszenieren und darstellen. Dabei legt Polek in ihrer textnahen Analyse besonderen Fokus auf die Muster (patterns) in der Narration bestimmter Texte, die Aufschluss sowohl über Intentionen der Autor:innen als auch über Erwartungen des Publikums liefern können.

CAROLINE BREITFELDER (Hamburg) führte anschließend in die Lebenswelt Paul Scheffers und dessen Selbstinszenierung als Auslandskorrespondent im Moskau der 1920er-Jahre ein. Das Konzept der Role/Self Performance spielte auch in diesem Vortrag eine bedeutende Rolle und verdeutlichte, wie Paul Scheffer in Moskau eine wirksame Selbstinszenierung praktizierte, die letztlich aber auch zu seinem Scheitern führte. Neben dem Aufbau eines einflussreichen Netzwerkes hatte Scheffer laut Breitfelder seine Rolle als Journalist in seinen Texten performativ konstruiert. Scheffer mache in seinen Berichten deutlich, mit welchen bedeutenden Personen er im Gespräch war, betone seine ‚unvoreingenommene’ und ‚professionelle’ Nähe zum Untersuchungsgegenstand oder gewisse Details, die nur besonders aufmerksame Beobachter in Moskau erkennen könnten. Scheffer habe es begrüßt, auf der weltpolitischen Bühne nicht nur als Journalist, sondern als bedeutende Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Er verkehrte in den höchsten Kreisen mit Persönlichkeiten wie Gustav Hilger, Gareth Jones, Walter Duranty, Klaus Mehnert, Vladimir Lenin, Karl Radek, Moritz Schlesinger, Margret Boveri, Georgij Vasil'evič Čičerin usw.

Paul Scheffer habe sich nach Breitfelder selbstbewusst als Schlüsselfigur für das deutsche Verstehen der Sowjetunion inszeniert. Er habe sich dezidiert von den Reiseberichten über die Sowjetunion abgehoben, denen er mehrfach und öffentlich fehlende Professionalität unterstellte und tendenziöse Berichterstattung vorwarf. Seine Berichterstattung der 1920er-Jahre verhandelte wiederholt die Dichotomie von Ost und West, beinhaltete jedoch auch eine gewisse Faszination für das „sozialistische Experiment“. Scheffer beschrieb im Laufe seiner Berichterstattung die Ereignisse in der Sowjetunion zunehmend kritischer und betonte deren scheinbare innere Logik und Konsequenz, die er als Kenner und Experte durchschauen und dem deutschen Publikum exklusiv mitteilen würde. 1929 wurde Scheffer die Wiedereinreise in die Sowjetunion aufgrund seiner vermehrt sehr kritischen Berichterstattung verweigert.

Am Beispiel des Schriftstellers, Publizisten und Dozenten René Fülöp-Miller wurde von KATJA PLACHOV (Freiburg) über die Vorteile und die Chancen des methodischen Ansatzes einer Akteurs-Netzwerkanalyse referiert. An Plachovs Protagonisten Fülöp-Miller konnten kulturelle Transferprozesse bzw. Mechanismen der Kulturvermittlung dekonstruiert werden, und Fülöp-Miller könne nach Plachov in einer Verflechtungsgeschichte zwischen Ost und West verortet werden. René Fülöp-Miller entdeckte während der Zwischenkriegszeit der 1920er und 1930er Jahren Russland und die Sowjetunion für sich und seine publizistische Arbeit. Während zweier Reisen in den Jahren 1922 und 1924 etablierte er sich als ‚Russlandkenner’.

Mittels zweier Untersuchungsebenen näherte sich Plachov dem Akteur Fülöp-Miller an: Einerseits anhand der faktographischen Ebene, die sich der Rekonstruktion von Fülöp-Millers Lebensstationen und Kontakten widme, andererseits mittels der textuellen Ebene, die einen Erklärungsansatz für die zeitgenössische Popularität seiner Deutungen liefere. Ohne zwischen belebten und unbelebten Akteuren, also zwischen Menschen, Texten und Deutungsnarrativen unterscheiden zu müssen, eröffne die Netzwerktheorie nach Plachov neue Perspektiven und diachrone Zusammenhänge. Dieser heuristische Ansatz führe auch dazu, dass Handlungen und Geschehnisse nicht unilateral und zu personenzentriert gedacht werden, sondern der Erkenntnis Rechnung getragen werde, dass historische Entwicklungen wesentlich komplexer und vielschichtiger ausgestaltet seien.

STEFAN MESSINGSCHLAGER (Hamburg) befasste sich mit der Entstehung des China-Diskurses in der Bundesrepublik im Rahmen deutsch-chinesischer Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg. Das Projekt nimmt die deutsche und westliche China-Expertise in den Blick und fragt nach dessen Wandel mit Blick auf die Akteure und Deutungen und wie sich Wissenskonstitutionen veränderte.

Westliche Bilder Chinas als „Kultur des Fernen Ostens“ waren nach Messingschlager bereits im 18. und 19. Jahrhundert wirkmächtig und ergänzten sich später mit Deutungen eines „Faszinosums“, als „überlegene Hochkultur“ aber auch als ein „minderwertiges Volk“. Mit dem Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg ab Anfang/Mitte der 1950er-Jahre und der damit einhergehenden Abschottung mit der westlichen Welt habe China einen neuen Schub an westlichem Interesse und Deutungsversuchen erlangt. China integrierte sich in die kommunistische Staatenwelt und blieb darin bis in die 1970er-Jahre fest verankert. Die dominante westliche Wahrnehmung Chinas in dieser Zeit sei die einer Blackbox gewesen, die erst im Laufe der 1980er strukturell aufgebrochen wurde. Die Volksrepublik China avancierte wiederholt und konjunkturell zur Kontrastfolie eines „Fremden“ oder „Anderen“ und zur Projektionsfläche westlicher Zuordnungen. Im Zentrum des Dissertationsprojekts stehen die individuellen und institutionellen Träger der China-Expertise in der BRD – es geht Messingschlager vor allem darum, herauszuarbeiten, wie Expertise verhandelt wurde, wie sie entstand, sich wandelte und an welche Akteure sie sich anheftete. Messingschlager stellte in seinem Projekt die übergeordnete Frage, wie das nicht existente westlich-chinesische Verhältnis der 1950er- und 1960er-Jahre jenseits transnationaler Interaktionen heuristisch und quellentechnisch greifbar gemacht werden könne.

Mit LEONIE WOLTERS (Berlin) Beitrag wurde der Blick des Workshops thematisch geöffnet. Wolters referierte über ein grenzübergreifendes, internationales Netz von alternativen News Agencies und deren Selbstdarstellung, Strategien und Schwierigkeiten bei der Nachrichtenvermittlung. Im Fokus standen die europäischen Nachrichtenagenturen Inter Press Service (IPS), Gemini und Non-Aligned News Agencies Pool (NANAP) in den 1960er- und 1970er-Jahren, die ihren Blick unter anderem auf den globalen Süden richteten, und sich dabei als Third World Agencies etablieren wollten. Das Erkenntnisinteresse des Projekts gehe laut Wolters nicht in Richtung einer Institutionsgeschichte, sondern untersuche die Form und Praxis des Berichtens und gehe der Frage nach, was Nachrichten überhaupt seien, welche Prozesse dabei eine Rolle spielen, und welche Rolle alternative Nachrichtenagenturen im Vergleich zu den großen, etablierten Newsagenturen spielten.

In einem Rückblick der verschiedenen Vorträge wurden im Laufe der zwei Workshoptage auffallend viele methodische und thematische Parallelen und Referenzpunkte zwischen den verschiedenen Projekten festgestellt. So konnten Katja Plachovs Protagonist René Fülöp-Miller, Caroline Breitfelders Pauls Scheffer und die generelle Berufsgruppe der Auslandskorrespondent:innen als Kulturakteur:innen oder politische Akteur:innen verortet werden. Es wurde betont, dass verschiedene Selbstinszenierungen oder Role Performances in den diskutierten Arbeiten und Texten verhandelt wurden – so etwa bei Paul Scheffer, René Fülöp-Miller, Vlas Mikhailovich Doroshevich, aber auch bei Stefan Messingschlagers China-Expert:innen, Leonie Wolters alternativen News Agencies und Kirsten Bönkers Korrespondenten Michel Tatu und Hedrick Smith. Viele Akteur:innen und Praktiken verbleiben auch nach diesem Workshop im Raum des Nicht-Untersuchten, dennoch wurde ein Startschuss für viele neue Projekte lanciert, die sich den Korrespondent:innen, Expert:innen und journalistischen Praktiken des 20. Jahrhunderts widmen.

Konferenzübersicht:

Norman Domeier (Prag): Auslandskorrespondenten als politische Akteure im 20. Jahrhundert

Kirsten Bönker (Köln): „La détente Est-Ouest est-elle encore possible?”: (Aussen-)politische Deutungskämpfe westlicher Auslandskorrespondent:innen im Kalten Krieg

Sophia Polek (Basel): Textdiskussion - How to Analyse Journalistic Role Conception and Role Performance. An Analytical Framework for a Cultural History of Reporting in Commercial Daily Newspaper Journalism of the Russian Empire in the 1905 Era

Caroline Breitfelder (Hamburg): Ort: Moskau. Die Rolle(n) von Paul Scheffer

Katja Plachov (Freiburg): Textdiskussion - Kulturakteur - Netzwerker - Stratege. René Fülöp-Miller als Vermittler russischer Kultur im 20. Jahrhundert

Stefan Messingschlager (Hamburg): Textdiskussion - Constructing China: Zur diskursiven Formung einer Weltmacht im Wiederaufstieg (1950er-1970er Jahre)

Leonie Wolters (Berlin): Textdiskussion - Slow News is Good News. Alternative News Agencies and Local Perspectives for Global Aims c. 1960 - 1990

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts